Auf der Suche nach dem passenden Lebensraum –
Ansichten einer hochsensiblen Wienerin.
Welche Umgebung brauche ich, um mich wirklich wohl zu fühlen?
Wie kann ich Orte, die nicht immer ideal sind, zu Wohlfühlräumen gestalten, weil ich in meinem „Innenraum“ geerdet und zufrieden bin?
Wann zahlt es sich aus, den Lebensort zu ändern?
AGB – Allgemein Gültige Bedürfnisse
Bevor ich mich auf die Suche nach möglichen und subjektiven Antworten mache, stelle ich fest, dass es dabei eine Grundkomponente gibt, die eine wichtige Orientierung bietet und mir als Basis dient.
Bei einem meiner letzten HSP-Treffen haben wir darüber gesprochen, wie wir uns eine Stadt vorstellen, die von hochsensiblen Menschen gestaltet ist. Wir sind davon ausgegangen, dass Feinfühlige und empathische Menschen, die eine ausgeprägte sensory processing sensitivity besitzen, keine Minderheit darstellen. Zudem ist das Bedürfnis nach begrünten Begegnungsräumen mehrfach in der Diskussion aufgetaucht. Diese Vision wirkte beruhigend und inspirierend. Mehrfach ging es um Reduktion von Störfaktoren: weniger Stress, weniger Gestank, weniger Lärm, weniger Beton, weniger Nachbarn. Übersetzt in Bedürfnisse geht es um mehr Ruhe, mehr Natur, mehr Freiraum zur persönlichen Entfaltung und oft auch um mehr Einfachheit. Darum, einfach in Ruhe sein und bleiben zu können.
Tatsache ist, dass wir Hochsensitive an einem ständigen Zuviel leiden. Allerdings nur dann, wenn wir es aufgrund welcher Umstände auch immer, (noch) nicht schaffen, unseren Lebensraum so angenehm zu gestalten, dass wir uns nicht fremdbestimmt fühlen. Manchmal wissen wir auch noch gar nicht Bescheid über unsere angeborene feinfühlige Ausprägung und merken erst über Umwege, dass es einen Grund für diese nervliche Anspannung oder Überlastung gibt.
„Mein Außenraum muss ruhige Elemente und Rückzug miteinander verbinden und eine Anbindung an die Natur haben, ohne große Umwege“ sagt mir eine hochsensible Freundin. Ist das zu viel verlangt? #toomuch? Ich finde nicht.
Human rights – HSP rights
Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ein von der UNO verabschiedetes Abkommen (1966), in dem sich die unterzeichnenden Staaten verpflichten, einen Teil der Menschenrechte zu gewährleisten, geht auf interessante Aspekte ein.
In Artikel 1 wird das Recht auf Selbstbestimmung erwähnt.
Dürfen wir uns als empathische und feinfühlige Hochsensitive das Recht herausnehmen, unsere persönlichen Stressfaktoren zu reduzieren? Ja!
Artikel 12 spricht das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an.
Ist es in Ordnung aus einem Großraumbüro mit dauernder Radiobeschallung fliehen zu wollen, weil die Ressourcen des Filterns durch Dauerbelastung überschöpft sind? Ja!
Ist es in Ordnung sich diskriminieren zu lassen, weil frau/man nichts aushält, härter sein muss und nicht so zimperlich sein soll? Nein!
Die englische Version des Paktes spricht von self-determination und mental health. Sind uns diese Begriffe näher? Durchaus möglich. Mein Wohlbefinden jetzt und langfristig betrachtet an erste Stelle zu setzen, bedeutet, mich im Rahmen der Menschenrechte zu bewegen.
Selbstermächtigung schließt ein, meine Wünsche wahrzunehmen und zu erkennen, was ich wirklich brauche, um dieses Höchstmaß zu erreichen.
Das kann dazu führen, dass ich mich für einige Zeit auf unbekanntes Terrain begebe, kritische Momente der Unsicherheit erlebe, weil ich mich dazu entschließe, etwas Gewohntes zu ändern: einen anderen, mir angenehmeren Beruf oder anonymeren Ort zu wählen, ganz gleich, ob ich dabei von der Stadt aufs Land ziehe, die Wohnung wechsle oder mir meinen momentanen Wohnort so umgestalte, dass es eine Erholung ist, für mich zu sein.
Der Wunsch hochsensibler Menschen nach einem ruhigen Lebensraum kann einem Grundbedürfnis ihrer Persönlichkeit gleichkommen, und es ist demnach nicht zu viel verlangt darauf einzugehen. Selbstbestimmt auf meine Gesundung zu achten, motiviert auch meine nächsten Menschen. In jedem Fall zahlt es sich aus, unsere hohe Sensibilität in unseren Alltag so gut wie möglich zu integrieren!
Urban nomad – stadtverwurzelt am Land?
Ganz gleich, wie alt wir sind, ob wir trotz unserer hochsensitiven Prägung UrbanisierungsbefürworterInnen oder digital nomads im Van auf Reisen sind. Es geht hier nicht um stereotype Diffamierungen, sondern um Wege, weise und hochsensibel leben zu können. Es ist kaum möglich, dass wir uns dieser Kontroverse entziehen, denn früher oder später werden wir uns als hochsensible Menschen die Frage stellen, was es braucht, damit wir ein wohltuendes Leben, angepasst an unsere Bedürfnisse, leben.
Für jede:n unter uns gibt es eine persönliche, individuelle Reise. Es gibt kein richtig und falsch, kein schwarz und weiß.
Vielmehr Buntheit in all ihren Schattierungen.
Überall.
Julia 🌳
Als Inspiration, nochmals:
- Welche Umgebung brauche ich, um mich wirklich wohl zu fühlen?
- Wie kann ich Orte, die nicht immer ideal sind, zu Wohlfühlräumen gestalten, weil ich in meinem „Innenraum“ geerdet und zufrieden bin?
- Wann zahlt es sich aus, den Lebensort zu ändern?
Zum Anhören: The Who, Too much of anything…
Schreibt mir eure Gedanken, Meinungen oder Visionen dazu: kontakt@gefuehlsweise.at
Zitate und zum Nachlesen
UNO Menschenrechtsabkommen
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/ICESCR/ICESCR_Pakt.pdf, [13.8.2021]
English version
ICESCR – International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights
Part I, Article 1 “All peoples have the right of self-determination” […]
Part III, Article 12 „…the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health” […]
https://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/cescr.aspx,[13.8.2021]
Mag. phil. Julia Bachmair ist Ganzheitliche Kunsttherapeutin® i.A.u.S., selbstständig in eigener Praxis mit Schwerpunkt auf Hochsensible Wahrnehmung und Hochsensitivität, freischaffende Künstlerin und Pädagogin.